Coaching boomt. Es gibt anscheinend nichts im Leben, wogegen oder wofür man/frau sich nicht coachen lassen kann: Partnerschaft, Konflikte, Karriere, Sex, Zeitmanagement, Kommunikation, Selbstmanagement, (mentale) Gesundheit…
Versprochen werden nur allzu oft einfache Wege zu Erfolg, Glück und Selbstoptimierung; propagiert wird positives Denken und auch noch die größte Krise als Chance zu sehen.
Gegen den „Terror des Positiven“
Gegen solche utopischen Glücks- und Coachingversprechen und den Selbstoptimierungswahn wendet sich Juliane Marie Schreiber in ihrem wunderbar wütenden, frechen und lesenswerten Buch „Ich möchte lieber nicht – eine Rebellion gegen den Terror des Positiven“.
Ich kann ihr nur zustimmen, wenn sie schreibt: „Nein, wir können nicht alles sein, wenn wir nur fest genug dran glauben. Und nein, nicht jeder ist seines Glückes Schmied. Es gibt viele Ungerechtigkeiten und Tragödien, für die der Einzelne nicht verantwortlich ist.“
Negative Gefühle sind wichtig
Anders als manche Esoteriker behaupten, passiert eben nicht alles aus einem bestimmten Grund; vieles ist einfach Schicksal und Glück ist nicht bloß eine Frage der Einstellung und Betrachtungsweise. Außerdem: auch Unglück, Trauer, Schmerz, schlechte Laune und negative Gefühle wie Zorn und Wut Bedeutung sind bedeutsam in unserem Leben. Wir können nicht ständig und auf Dauer glücklich sein oder immer nur positiv denken (#toxischepositivität) und es ist auch nicht erstrebenswert. Denn notwendige Veränderungen entstehen oft erst im Konflikt oder unter hohem Leidensdruck.
Auf all das weist Juliane Marie Schreiber zurecht hin und liefert viele kluge Einsichten und Denkanstöße. Leider aber verfällt sie in ihrem Zorn zugleich in ein undifferenziertes Coaching-Bashing und unterstellt zu Unrecht, dass die von ihr mit guten Argumenten kritisierte Positive Psychologie heute Basis jeden Coachings sei.
Natürlich gibt es im Coaching-Geschäft jene, die dauerhaftes Glück versprechen und predigen, es komme nur auf das richtige, positive Mindset an, dann könne jede/r alles erreichen.
Die Grenzen des seriösen Coachings
Doch seriöses Coaching macht aus einem zurückhaltenden Menschen keinen Draufgänger. Es verspricht nicht den Himmel auf Erden, hat kein Geheimrezept oder den schnellen Rat und orientiert sich auch nicht einseitig an der Positiven Psychologie.
Professionelles Coaching ist ein gemeinsamer Prozess auf Augenhöhe. Ein Prozess der Hilfe zur Selbsthilfe, in dem die Realität mit ihren Problemen und ihrem Leid akzeptiert und analysiert wird. Ein Prozess, in dem sich Klient*innen selbst hinterfragen, noch besser kennenlernen, sich anstrengen, sich verändern, sich weiterentwickeln, um mit den Herausforderungen und Konflikten, die das Leben bereit hält, selbstbestimmt umzugehen.
Und damit um das zu erreichen, was auch Juliane Marie Schreiber als Ziel anerkennt: „Menschen sind dann zufrieden, wenn ihr Leben im Großen und Ganzen ihren Vorstellungen entspricht,…wenn sie spüren, ihr Leben unter Kontrolle zu haben, und ‚Selbstwirksamkeit’ erleben, also das Gefühl haben, die Auswirkungen der eigenen Arbeit zu spüren. Das Gefühl von Selbstwirksamkeit ist letztendlich nichts anderes als das Gefühl von Autonomie.“